26. Sonntag 2008 Phil 2,1-11;

In der römischen Kirche San Luigi dei Francesi befindet sich ein berühmtes Bild des italienischen Barockmalers Caravaggio aus dem Beginn des 17. Jhts., das die Berufung des Zöllners Matthäus zum Jünger Jesu zeigt. Bei seiner Präsentation löste es – wie fast alle Bilder Caravaggios – Empörung aus. Was Caravaggios Bilder für seine Zeitgenossen so ärgerlich machte, war sein derber ungeschminkter, geradezu fotografischer Realismus, womit er Szenen der Bibel und der Heiligenlegenden in seine eigene Zeit hineinholte und zudem in den untersten sozialen Milieus ansiedelte, die bisher in der kirchlichen Kunst nicht vorkamen.

Es ist nicht der Ort, Caravaggios Bild, das zu den ganz großen Meisterwerken der Malerei gehört, in seiner ganzen Tiefe zu beleuchten und zu deuten. Nur so viel: von rechts treten Jesus und Petrus auf eine Gruppe von Männern zu die im nächtlichen Halbdunkel vor einem Gasthaus im Freien um einen Tisch sitzen, - einige von ihnen damit beschäftigt Geld zu zählen. Einer von ihnen ist der Zöllner Matthäus. Er deutet voller Staunen mit einer sprechenden Geste die Frage an: Meinst du wirklich mich?

Allerdings -, die Frage ist berechtigt. Denn die um den Tisch Versammelten sind die Mafiosi des 17. Jhts., Schutzgelderpresser einschließlich der Garde berufsmäßiger Schläger und Killer. Dadurch, dass sie wie Caravaggios Zeitgenossen gekleidet sind und das Bild in einer Kirche der Stadt Rom hängt, konnten die damaligen Betrachter in diesen ungemütlichen Gestalten die gefürchteten päpstlichen Steuereinnehmer erkennen. Es ist der Abschaum der Gesellschaft, die halbseidenen Gestalten der Unterwelt, die sich hier in einer nicht geheureren Seitengasse im Schutz der Dunkelheit versammeln, um das eingetriebene Geld untereinander zu verteilen. Wir ahnen es: die Münzen, die da über den Tisch gehen und auf die sich Augen voll nackter Gier richten, das ist Blutgeld. Und in diese widerwärtige Szene tritt Jesus. Einen aus dieser Gesellschaft beruft er zu seinem Jünger.

So weit geht Gott. So tief beugt er sich hinab in die Verlorenheit einer unbarmherzigen Welt. Er scheut nicht die Ansteckung durch den Schmutz der Sünde. Er erniedrigte sich und hielt nicht daran fest wie Gott zu sein, heißt es im Hymnus des Philipper Briefes, eines kostbaren Textes aus der Frühzeit des Christentums, den schon Paulus im gottesdienstlichen Gebrauch vorfand und in seinem Brief an die Philipper einfügte.

Jesus begibt sich in schlechte Gesellschaft. Das haben ihm schon die Frommen seiner Zeit vorgeworfen; daran zu erinnern, das nahmen im 17. Jht. später die Frommen dieser Zeit einem Maler wie Caravaggio übel.

Zwischenfrage: gestehen wir den Menschen in den schlechten Gesellschaften zu, dass Jesus sich ihm zuwendet; - den schlechten Gesellschaften, vor deren äußerlichen und inneren Schmutz wir uns selbst ekeln? Hierzulande ist Kirche eine größtenteils gute Gesellschaft. Die aus der schlechten Gesellschaft bleiben vor den Türen. Das ist ein Faktum.

Bemerken wir zumindest noch, dass Kirche nicht allein und vorrangig für die bessere Gesellschaft erfunden wurde?

Doch zurück zum Philipper-Hymnus.

Nachdem dargestellt worden ist, dass sich der, der Gott gleich war, freiwillig selbst erniedrigte und sich in den Schmutz dieser Welt hineinbegeben hat, schlägt der Hymnus einen anderen Ton an. Weil der Sohn sich erniedrigt hat, hat Gott ihn auch erhöht zum Kyrios, zum Pantokrator, zum Herrscher über Himmel und Erde. Und so tritt er uns in einer anderen römischen Kirche entgegen, in dem Apsismosaik der Kirche Santi Cosma e Damiano.

Auch dieses Mosaik ist ein Meisterwerk wie Caravaggios Bild, aber es ist 1000 Jahre älter.

Auf einem geheimnisvollen tiefblauen Grund erscheint uns Christus in feierlich unnahbarer Majestät. Das ist nicht der einfache Mann, der sich in dunklen Gassen mit zwielichtigen Gestalten abgibt. Es ist erst recht nicht der, der sich so erniedrigt, dass er sich sogar ans Kreuz hängen lässt. Er ist gekleidet wie ein spätrömischer Kaiser. Er kommt uns ernst und feierlich gleichsam aus den Tiefen der Ewigkeit entgegen. Ihm glaubt man, dass Gott ihm den Namen verliehen hat, der größer ist als alle Namen. Ihm glaubt man, dass alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde vor ihm ihre Knie beugen. Ein Kenner hat von diesem Mosaik gesagt: „Im Anblick dieses Christus betet der Mensch nicht, weil er will, sondern weil er muss.“

Vielleicht fällt es uns heute schwer, in diesem kühl distanzierten Weltenherrscher den Christus des eigenen Glaubens wieder zu erkennen. Vielleicht erscheint uns der einfache Mann aus Nazareth, der so nah bei den Menschen war, bei den Tätern und den Opfern, der sich nicht zu fein war für all den Unrat und den Schmutz dieser Welt, sehr viel sympathischer als diese zur Ikone unnahbarer Erhabenheit geronnene Herrschergestalt.

Doch der Philipper-Hymnus zeigt uns die beiden Wirklichkeiten Jesu Christi: die dessen, der sich selbst erniedrigte und unter die Schmach des Kreuzes beugte, aber auch den, den Gott erhöhte und ihm einen Namen verlieh, der größer ist als alle Namen. So werden der Christus Caravaggios in einer üblen Gasse unter lichtscheuem Gesindel und der erhabene Christus Pantokrator, der auf Wolken thront, zu zwei Seiten einer Medaille. Der eine ist nicht ohne den anderen zu haben und zu denken.

Der Philipper-Hymnus lehrt, dass wir uns nicht entscheiden müssen und uns nicht entscheiden dürfen zwischen dem Jesus, der sich hinab begibt in eine Welt der Lüge, des Unrechts und der Gewalt, - so weit hinab begibt und identifiziert mit den Dunkelheiten dieser Welt, dass er am Ende selbst als ihr Opfer am Galgen des Kreuzes endet –

und dem Christus, der als Herr des Kosmos auf Wolken thront, um zu richten, aber noch mehr, um zu retten und heimzuholen.

Erlösen kann uns nur der, der die Erfahrungen derer kennt und teilt, die ganz unten sind, -

der aber auch die Macht hat, die Welt und den ganzen Kosmos aus der Verstrickung in die Mächte des Todes und des Verderbens zu befreien, damit am Ende alle Erlösten, alles Erlöste ihn als den Herrn, den Kyrios bekennt.