Predigt 17. Sonntag 2008

Röm 8,28-30;

17. Sonntag A 08

„Der Mensch blickt in die Zeit zurück und sieht, sein Unglück war sein Glück“, dichtete einst Eugen Roth, einer der genialsten Humoristen und tiefsten Menschenkenner der deutschen Literatur.

„Der Mensch blickt in die Zeit zurück und sieht, sein Unglück war sein Glück“, - wer möchte das schon grundsätzlich bestreiten? Wahrscheinlich kennen wir alle solche Erfahrungen, wo es uns zunächst so schien, als sei uns der Boden unter den Füßen weggezogen, als ginge nun nichts mehr weiter und alles sei dahin. Mühsam haben wir uns in einem neuen Geburtsvorgang, wie durch einen engen Geburtskanal aus dem Dunkel ins Licht vorgearbeitet und haben erst nach Jahren, vielleicht nach Jahrzehnten festgestellt: das, was uns damals wie ein Stein vor den Kopf traf und alles sinnlos erscheinen ließ, das hat uns am Ende weitergebracht, neue Perspektiven ungeahnter Weite eröffnet. Ja, es ist oft so, dass wir viel Zeit brauchen, um die verborgenen Wasserzeichen auf den vergilbten Blättern des Lebens zu entziffern. Und so entpuppt sich das, was uns im Moment als ein Unglück erschien, später als ein Glücksfall. In dem Satz Eugen Roths steckt mehr lebenserfahrene Weisheit als in den bedeutungsschweren Pseudoweisheiten heutiger selbst- ernannter Gurus der Lebenshilfe. Gewiss ist nicht in allen Schicksalskartons, auf dem Glück draufsteht, auch Glück drin; aber genausowenig ist nur Unglück drin, wo Unglück draufsteht. Mit dem Unglück ist es wie mit frisch gebrannten Schnäpsen: sie sind geradezu ungenießbar. Aber nach Jahren der Lagerung können sie köstlich schmecken.

„Der Mensch blickt in die Zeit zurück und sieht, sein Unglück war sein Glück“. Darin ist ganz gewiss viel Wahrheit. Doch das Leben ist kompliziert und ein Merksatz reicht nicht aus, es zu beschreiben. Denn gegen diesen Vers steht die ganze Wucht menschlicher Leiderfahrungen, die sich auch nach langer Zeit nicht in Glückstreffer verwandeln, ja nicht einmal den guten Geschmack der Sinnhaftigkeit auf der Zunge annehmen. Ganz unbestritten werden Menschen mit leidvollen Unglückserfahrungen konfrontiert, die jede Möglichkeit ausschließen, ihnen einen Sinn zu geben.

Eugen Roths Vers trifft sicher auf viele Situationen im menschlichen Dasein zu, aber weil das Leben kompliziert ist, eben nicht auf alle. Der Glaube schützt nicht vor Sinnlosigkeitserfahrungen und nicht allen, die mit eigenem oder fremdem Leiden nicht fertig werden, fehlt es einfach an Glauben und Hoffnung.

Darum fällt es auch schwer, Paulus zu folgen, der eigentlich auch nichts anderes als Eugen Roth behauptet, wenn er in dem heutigen Abschnitt aus dem Römerbrief schreibt: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt.“

Wissen wir das? Nein, das wissen wir leider nicht.

Mag sein, dass Paulus hier um der Wirkung willen ein wenig zu sehr vereinfacht. Und es ist ja durchaus erwiesen, dass glaubende Menschen mit Niederlagen und Schicksalsschlägen besser umgehen können als Nichtglaubende. Wer glaubt, für den ist eben diese Welt nicht die letzte aller Möglichkeiten, auf die man allein setzen muss.

Kann aber auch sein, dass wir noch einmal tiefer graben müssen, um Paulus nicht Vereinfachung zu unterstellen. Das Gute, wohin Gott alle, die ihn lieben, führt, meint wahrscheinlich nicht nur das bloß Vorteilhafte, so als ob den Glaubenden versprochen würde, es würde ihnen in jedem Fall besser gehen als den Nichtglaubenden, weil sie mit allen Widrigkeiten vor dem Hintergrund des Glaubens besser würden umgehen können.

Auch Paulus weiß um Unglück und Verzweifelung im Leben seiner Mitmenschen wie auch in seinem eigenen Leben, - vor allem auch in seinem eigenen.

Bevor ihm der auferstandene Christus vor den Toren von Damaskus erschien, war er ein fanatischer Eiferer für eine veräußerlichte jüdische Gesetzesreligion, die von Gott klein dachte und meinte, durch eigene Leistung Gott imponieren zu können. Zudem plagte ihn eine geheimnisvolle Krankheit, seinen Stachel im Fleisch, wie er sie selbst nennt. Unter dieser Krankheit leidet er bis zur Selbstverachtung.

Kurz: nichts brachte er von sich aus mit, um zum größten Verkünder der christlichen Botschaft am Anfang der Kirche zu werden. Alles dieses Widrige, dieses ihn bis zur Selbstzerstörung quälende hat Gott verwandelt und zum Guten geführt. So sieht es Paulus. Alles, was einen Menschen ausmacht, enthält Energie zur Verwandlung ins Gute. Alles, was uns im Leben begegnet, uns prägt, verunstaltet und Wunden schlägt, wird von Gott für das endgültige Heil gleichsam in Dienst genommen. Mit geradezu zwingend logischer Konsequenz kann Paulus darum zusammenfassen: Die Gott lieben, sind von Gott im voraus erkannt und im voraus bestimmt, berufen und gerecht gemacht, ja sogar schon verherrlicht.

Nichts haben, was einem auszeichnet, - nur etwas haben, woran man leidet, womit man sich rumschlägt, was behindert und bedrückt,

trotzdem erwählt werden, befreit werden, aufatmen können, -

das nennt Paulus Gnade. Gnade, sein großes Thema, das sich wie ein roter Faden durch seine ganze Verkündigung zieht, - d.h., dass alles von Gott zum Guten geführt wird.

Vielleicht erfahren auch wir uns als Menschen mit mancherlei Unzulänglichkeiten, vielleicht leiden auch wir an uns selbst, an dem, was uns fehlt, was wir gern an uns anders hätten, vielleicht quält auch uns eine Schuld, die wir nicht loswerden können und setzt auch uns gleichsam einen Stachel ins Fleisch, der sich durch keinen Kraftakt herausziehen lässt.

Das und so vieles mehr könnte uns verzweifeln lassen, wäre da nicht die Erfahrung der Gnade, die in unserer Schwachheit Wunder wirken und alles zum Guten führen kann.

Wenn wir denn auf Gottes Liebe mehr setzen als auf unsere eigene eingebildete Leistung.

Und dann hat auch wieder Eugen Roth recht, dass aus unserem Unglück Glück werden kann.