Predigt 16. Sonntag 2008

Mt 13,24-43
16. Sonntag A 08

Anfang der 1970er Jahre veröffentliche der sowjetische Regimekritiker Alexander Solschenizyn ein Buch über seine Erfahrungen in einem sowjetischen Arbeits- und Todeslager, dem Archipel Gulag, - ein großartiges Dokument der Menschlichkeit aus einer Welt der Unmenschlichkeit. Darin reflektiert Solschenizyn an einer Stelle die Frage, was es ist, was Menschen gut oder böse sein lässt. Und er kommt zu dem Schluss, dass beides im Menschen sehr nah beieinander liegt.
Er schreibt:
„Wenn es nur so einfach wäre! – daß irgendwo schwarze Menschen mit böser Absicht schwarze Werke vollbringen und es nur darauf ankäme, sie unter den übrigen zu erkennen und zu vernichten.
Aber der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen.
Und wer mag von seinem Herzen ein Stück vernichten?
Während der Lebensdauer eines Herzens bleibt dieser Strich nicht unbeweglich. Bedrängt einmal vom frohlockenden Bösen, gibt er dann wieder dem aufkeimenden Guten freien Raum.
Ein neues Lebensalter, eine neue Lebenslage – und ein und derselbe Mensch wird ein sehr anderer. Einmal dem Teufel näher und einmal einem Heiligen.
Vom Guten zum Bösen ist’s ein Windstoß weit, sagt unser Sprichwort.
Demnach auch vom Bösen zum Guten.
Das hat sich doch, ehrlich, bloß so ergeben, daß nicht wir die Henker waren, sondern sie.

Ja richtig, wenn es so einfach wäre, dass man die Guten und die Bösen so leicht auseinander halten könnte. Aber wir wissen alle, dass es nicht so einfach ist. Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen, das sich kaum selbst kennt. In uns allen sind unendliche Möglichkeiten zum Guten wie zum Bösen, die wir nicht kennen und die nie zur Verwirklichung kommen, weil sich die Gelegenheit dazu nicht bietet. Es ist nicht nur unser Verdienst, wenn wir einigermaßen rechtschaffen durchs Leben kommen. Es ist auch immer Glück dabei, - oder wenn man so will: Gnade. Wir sind einigermaßen gut aus Mangel an Gelegenheit. Nietzsche, dieser Kenner des Menschlichen und Allzumenschlichen, sagt es mit unverhohlenem Sarkasmus: „Wahrlich, ich lachte oft derer, die sich für tugendhaft hielten, nur weil sie lahme Pranken hatten.“

Das Gleichnis des Evangeliums macht es schon kompliziert. Es warnt davor, vorschnell zu richten und die, die man der Schlechtigkeit verdächtigt, rigoros aus der Kirche, der Gemeinschaft der Glaubenden auszuschließen. Doch dann - will es mir scheinen – verfällt es in das gleiche Schubladendenken, das es ja eigentlich überwinden will: „. . .der gute Same, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen . . . ”
Doch die menschliche Wirklichkeit ist ungleich komplizierter. Es gibt nicht nur die Söhne des Reiches und die Söhne des Bösen. Wir sind gleichzeitig das eine wie das andere. Der Unterschied zwischen den einzelnen Menschen liegt vielleicht gerade mal darin, dass die einen mehr Söhne bzw. Töchter des Reiches, die anderen mehr Söhne und Töchter des Bösen sind. Doch die Demarkationslinie zwischen Guten und Bösen verläuft nicht wie mit dem Lineal gezogen. Sie verläuft eher im Zickzack und statt schwarz und weiß gibt es viel grau in grau.

Auf dem Acker der Welt, auf dem der Herr sät, liegt jedenfalls mehr herum als nur guter Samen, - darin hat das Gleichnis recht. Es gibt genug schlechten Samen, der schlechte Pflanzen hervorbringt, die schlechte Früchte tragen. Oft ist es nicht leicht, herauszufinden, was guter und was schlechter Samen ist. Dem Samen sieht man seine Früchte nicht an, leider.

Oft wird man es erst nach vielen Jahren wissen, manchmal sein ganzes Leben lang nicht, zu welcher botanischen Gattung – Unkraut oder Weizen – man selbst mehr gehört. Auch sind wir mal eher Weizen, mal eher Unkraut. Und selbst die sind während des Wachstumsprozesses nicht sicher zu unterscheiden. Es bedarf des Tages der Ernte, wenn der Weizen reif ist, um ihn vom Unkraut zu unterscheiden.
Doch angesichts der hochkomplizierten Wirklichkeit des Menschseins gerät das Gleichnis an seine Grenzen. Den Fall, dass aus Weizen Unkraut oder aus Unkraut Weizen wird, sieht es nicht vor. Aber genau das kann gemäß Solschenizyn geschehen.
Wenn wir im Vater unser immer wieder beten : führe uns nicht in Versuchung, dann ist das durchaus keine blasse Formel. Dann hat das zu tun mit der alles entscheidenden Frage von Heil und Unheil. Wir sind nicht allen Versuchungen gewachsen, die auf dem Acker der Welt liegen und sich manchmal lautstark anpreisen. Gewiss nicht!
Das beweisen all die volkstümlichen Geschichten von dem Teufel, der sich in schillernden und glitzernden Verkleidungen dem Menschen nähert. Macht, Besitz, Wissen, Ruhm, unvergängliche Schönheit, langes Leben, - diesen Versuchungen erliegt nicht nur der Dr. Faust. In leiserer, unspektakulärerer Sprache werden sie auch jeden von uns zugeflüstert, - nicht nur durch die Werbung. Und da haben wir jemanden nötig, der uns in der Versuchung nicht nur stärkt, sondern uns von vorneherein vor ihr bewahrt. Damit wir nicht zum Teufel gehen oder selbst zu einem werden.
Menschen, die etwa das Dritte Reich oder den real existierenden Sozialismus im Ostblock miterlebt haben, wissen, dass es oft leichter ist, zum Henker als zum Opfer zu werden. Denn das Gute ist anstrengender als das Böse und das Böse geht leichter von der Hand.

Angesichts der Gefährdung des Menschseins auf dem Acker der Welt ist es unser Glück, dass da einer ist, der so leidenschaftlich an unserem Heil interessiert ist, dass er uns in und vor den Versuchungen bewahren will, wenn wir es denn selbst auch wollen und nicht unser Wille zur Selbstbehauptung stärker ist. Er bewahrt uns vor den Versuchungen, damit nicht aus Weizen Unkraut wird.
Und genau so ist es unser Glück, dass eben derselbe, nämlich Gott, langmütig und geduldig ist mit den Pflanzen auf dem Acker der Welt, damit jedem Unkraut die Chance bleibt, doch noch zu gutem Weizen zu werden, bevor der Tag des Gerichtes kommt.